Gebändigte Kraft
Im Jahre 1847 wurde das Nitroglycerin erfunden. Es ist ein effektiver, aber schwer zu handhabender Sprengstoff. Schon die kleinste Bewegung dieser flüssigen Substanz führt zur Explosion. Alfred Nobel vermischte den gefährlichen Stoff mit Kieselgur, einem aus Schalen fossiler Algen hergestellten Pulver. So erhielt er eine knetbare Masse, die stoßunempfindlich ist und noch heute unter dem Namen Dynamit gute Dienste leistet. Die Substanz zerfällt nach dem Zünden in Kohlendioxid, Stickstoff, Wasserdampf und Stickstoffmonoxid. Diese Gase setzen Energie frei und verursachen eine enorme Volumenausdehnung – eine Explosion eben.
Biochemische Druckregler
Kurioserweise war das Stickstoffmonoxid (NO) später Anlass für die Verleihung eines Medizin-Nobelpreises. Im Jahre 1991 erhielten ihn die Forscher Furchgott, Ignarro und Murad. Sie hatten gezeigt, dass NO gleichzeitig ein körpereigener Botenstoff ist, der dafür sorgt, dass sich die Blutgefäße auf natürliche Weise erweitern. Nimmt der Durchmesser der Adern zu, so sinkt der Druck in den Gefäßen. NO hat seitdem einen festen Platz unter den Mitteln gegen Bluthochdruck.
Himmlisches Spiel
Dasselbe NO, das den Blutdruck so trefflich senkt, sollte die Herren der Schöpfung noch auf eine ganz andere Weise beglücken. Die Erektion des Mannes muss in der Regel auf ein Signal der Liebe warten. In dessen Folge aktiviert das Gehirn eine komplexe Kaskade biochemischer Prozesse, an deren Ende wiederum die Freisetzung von NO steht. Natürlich kann es auch die winzigen Gefäße im Schwellkörper weiten, selbigen mit Blut füllen und so im Idealfall des Mannes bestes Stück im wahrsten Sinne des Wortes gen Himmel heben.
Helfer in der Not
Doch was hat das NO nun mit dem „Coronavirus“ zu tun? Letzterer gehört zur Familie Coronaviridae, die schon seit einer gefühlten Ewigkeit existiert, deren Mitglieder sich aber ständig verändern und neue Stämme bilden. Gegen Viren helfen keine Antibiotika. Sie müssen vom menschlichen Organismus eigenständig bekämpft werden. Diese Aufgabe obliegt dem körpereigenen Immunsystem. Und genau das profitiert von einer guten NO-Bereitstellung.
Ein toller Trick
NO wird im Organismus natürlich nicht aus Dynamit gewonnen. Es entsteht ganz sanft aus der Aminosäure Arginin. Ein Enzym namens NO-Synthase ist für diesen Trick verantwortlich. Sobald Viren den Körper bedrohen, schnellt die Aktivität der NO-Synthase rasant in die Höhe. Flugs wird das Verteidigungsmittel NO zur Abwehr der Eindringlinge produziert – so zum Beispiel in den Fresszellen (Makrophagen) des Immunsystems, die sich als erste über die Viren hermachen. Aber auch in der Nasenschleimhaut und in viral entzündetem Gewebe wird die NO-Produktion aus Arginin angekurbelt. Zugegeben, Arginin arbeitet zwar mit der Immunabwehr Hand-in-Hand, bietet aber keinen Schutz vor der eigentlichen Infektion. Hier haben strenge Hygiene-Maßnahmen wie Händewaschen, Niesen in die Armbeuge und das Fernhalten vom Infektionsherd einen höheren Stellenwert.